Der Inhalt der Kirchturmkugel zu Mahlsdorf


Die Reparatur im September 1953 - Die Schrift von Pastor Schoene

Stappenbeck, d. 18.September 1953

Gott zum Gruß und den Herrn Christus zum Trost !
Est 30 Jahre sind vergangen, seitdem mein Vorgänger, Pastor Friedrich Hesselbarth, einige Nachrichten dem Turmknopf anvertraute. Nun ist wieder eine Turmreparatur notwendig geworden, die von dem Dachdeckermeister Wilhelm Wöhler aus Pretzier und seinen Gehilfen in Zusammenarbeit mit dem Zimmermann H. Damm aus Salzwedel durchgeführt wird. So sollen Euch, Ihr lieben Nachfahren, von uns wieder einige Zeilen sagen, wie es heute in unserer Gemeinde Mahlsdorf aussieht.
Wenn von einem Menschen Menschenalter berichtet werden konnte, daß Kirchlichkeit zur guten Sitte gehört hat, so ist das jetzt völlig anders geworden. Die Gottesdienste werden von 12 - 15 Erwachsenen besucht. Wenn es einmal mehr sind, so ist das eine Ausnahme. Dabei hat Mahlsdorf eine Einwohnerzahl von über 400 Seelen. Gewiß, man tritt nicht aus der Kirche aus, man begehrt auch noch die Taufe und die Konfirmation der Kinder, läßt sich selbst kirchlich trauen, und seine Angehörigen selbstverständlich kirchlich beerdigen. Aber die Bibel spielt im Leben der Familie kaum noch eine Rolle. Das Tischgebet findet sich fast gar nicht mehr, jedenfalls nicht in den bäuerlichen Familiene, höchstens noch bei einzelnen Flüchtlingen aus dem Osten oder bei katholischen Familien, die seit dem Kriege in größerer Zahl in unsere Gemeinde gekommen sind und etwa 10 - 15 % der Bevölkerung ausmachen, teilweise auch mehr. Nicht verschwiegen soll freilich werden, daß es aber auch einige treue und gläubige Familien gibt, die sich z.T. alle 14 Tage zu einer Biebelstunde zusammenfinden. Diese Biebelstunde wird bei dem Kirchenältesten Friseur Martin Riemann gehalten, da wir keinen Gemeinderaum zur Verfügung haben.
Wie ist es zu der herrschenden Unkirchlichkeit gekommen ? Da ist zunächst hinzuweisen auf den Zug der Zeit zum Säkularismus, der allerdingst in Mahlsdorf besonders geringen Widerstand gefunden hat. Seit dem ersten Weltkrieg war Kirchlichkeit eben tatsächlich noch Sitte, nicht mehr aber Ausdruck der Glaubensüberzeugung. Mehr und mehr gewöhnte man sich an, auf politische Gruppen, Parteien und Männer seine Hoffnung zu setzen. Von Gott erwartete man nichts mehr. Die Lehren Ludendorffs fanden in unserem Dorf besonders viele Anhänger. Ebenso natürlich Hitler. Nach dem Kriege schlug das Pendel nach der anderen Seite aus. Aber wieder waren es Menschen und irdische Dinge, auf die man Hoffnung und Vertrauen setzte. Und das hat sich auch durch die notvollen Jahre und Monate, die wir erlebt haben, nicht geändert. Man könnte sehen, wie fragwürdig Besitz und Stellungen sind, haben doch erst in diesem Jahre einige Besitzer größerer Höfe ihre Heimat verlassen und sind nach Westdeutschland, in die "Bundesrepublik Deutschland", gegangen. Dazu gehören Martin Schulz und Otto Schulz aus Mahlsdorf, Bernd Schulz aus Buchwitz, Gerhard Schmidt aus Stappenbeck. Andere waren wegen Nichterfüllung ihrer Sollverpflichtungen zu Zuchthaus verurteil, z.B. Otto Bubke und Paula Tornow aus unserm Dorf, Otto Heinecke mit Frau aus Stappenbeck, um nur die Pälle aus unserer Parochie zu nennen. In dem sogenannten "neuen Kurs" der Politik unserer Regierung sind seit dem Juni einige Erleichterungen eingetreten. Die Verurteilten sind zum größten Teil freigelassen und haben, soweit die inzwischen gegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) damit einverstanden waren, die enteigneten Höfe zurückerhalten, wozu Otto Bubke und Otto Heinecke bisher freilich noch nicht zählen. Auch in kirchlicher Hinsicht sind die Erleichterungen des neuen Kurses spürbar geworden. Hatten wir zuvor nicht nur große Angriffe gegen unsere junge Gemeinde zu erdulden, wovon besonders die Oberschüler betroffen waren, die man von den Schulen zu verweisen drohte, sondern auch noch Schwierigkeiten in der Christenlehre, so hat sich das seit dem Juni 1953 gründlich geändert. Die Katechetin, Fräulein Saalmann aus Saalfeld, darf nun den kirchlichen Unterricht wieder in der Schule erteilen, aus der sie Anfang des Jahres mit fadenscheinigen Gründen verwiesen worden war. Der damalige Lehrer Mösenthin ist auch nicht mehr Schulleiter, sondern zu einem Kursus beurlaubt. Lehrer sind jetzt Herr Paech aus Mahlsdorf und Herr Langanke aus Maxdorf, das jetzt ja politisch zu Mahlsdorf gehört, kirchlich aber nach wie vor als eigene Gemeidne zur Parochie Altensalzwedel rechnet.
Kirchenälteste sind: Friseur Martin Riemann und die Landwirte Fritz Landsmann, Walter Schweigel und Hermann Stappenbeck.
Kirchendiener ist der Landwirt Hermann Teßmann.
Nun noch einige Notizen über die Lebensverhältnisse in unseren Tagen: Der Hauptwunsch in politischer Hinsicht ist bei allen die Wiedervereinigung unseres zerrissenen Vaterlandes. Fast noch ausgiebiger behandelt werden in den Gesprächen die Fragen der Ablieferungsverpflichtungen, das sogenannte "Soll", weil das den Bauern große Sorgen macht, besonders den größeren. Die Verpflichtungen sind nämlich nach Größe der Wirtschaften abgestuft, "differenziert".Die Folge ist, daß jeder zusieht, in möglichst niedrige "Sollstufe" zu kommen. Daher haben wir auch Schwierigkeiten, freiwerdenden Pachtacker unterzubringen. In anderen Gemeinden liegen z.T. ansehliche Flächen brach.
Preise kann man schlecht nennen, da es von vielen Dingen 2 Preise gibt, je nachdem ob es sich um Ware auf Marken und Bezugsschein oder "freie" Ware handelt. So kostet Butter auf Marken 4,20 je Kg, dieselbe Butter in der HO (Handelsorganisation) ohne Marken aber 20,- je Kg. Schuhe aus Ersatzstoffen kosten 30,-, aus Leder in der HO ca. 100.-. Anzugsstoff kann man schon für billiges Geld haben, etwa 17.-DM - 30.-DM je Meter. Es handelt sich dann aber um minderwertige Zellwolle. Somolana, wohl ein russisches Produkt aus ziemlich harter Wolle von Steppenschafen, kostet 40 - 50 DM je Meter. Für gute Ware aus reiner Wolle wurden mir neulich 88.- DM je Meter abverlangt.
Der Verdienst eines Landarbeiters kann bis zu 10,- täglich in den Zeiten der Arbeitsspitzen betragen, wenn er als Saisonarbeiter arbeitet. Sonst je Stunde 0,84 DM.
Pfarrer ist seit 1943 Pastor Gerhard Schoene, gebürtig in Windberge, Krs. Stendal, jetzt Tangerhütte.
Herr Gott, himlischer Vaterm erbarme Dich unser. Erbarme Dich unseres armen Volkes. Erbarme Dich Deiner angefochtenen Kirche. Erbarme Dich dieser Gemeinde. Insbesondere bitte ich Dich: Schenke uns eine Erweckung und fange bei uns an. Amen.

                                                Schoene, P.

Kirchensiegel Mahlsdorf


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