Der Inhalt der Kirchturmkugel zu Mahlsdorf
Die Reparatur im August/September 1923 - Die Schrift von Pastor Hesselbarth
Stappenbeck, den 6. August 1923
Ein Gruß an unsere späteren Nachkommen !
Wie uns die wieder beiliegende Urkunde von Pastor Borgmann vom 29. August 1846 ein lieber
Gruß aus der Großväter Zeiten war, die wir am 25. Juli bei Reparaturarbeiten am Kirchturm
u. an der Wetterfahne fanden, so wollen wir uns seinerseits unseren Nachkommen wieder einen
Gruß u. einige Nachrichten aus jetztiger schweren Zeit der Demütigung Deutschlands dem
Turmknopf anvertrauen.
Möchten Euch, Ihr späten Enkel wieder bessere und sorgenfreieere Zeiten beschert sein u.
Ihr den Wiederaufbau Deutschlands.........um den sich die Besten in unserem Vaterland soviel
Sorgen und Gedanken machen !
Kärglichkeit gehört in der Gemeinde Mahlsdorf, die 322 Seelen zählt, immer noch zur guten
Sitte, wenngleich die heranwachsende Jugend sich mehr und mehr dem Gotteshaus entfremdet.
Leben mit der Kirchlichkeit..........das sittliche Leben nicht immer in Einklang.
Von gutem kirchlichen Sinn genug ! Der Beschluß der Gemeindeversammlung vom vorgestrigen
Tage an Stelle der im Sommer 1917 für Kriegszwecke abgelieferten 9 Centner schwere
Bronzeglocke eine Stahlglocke von 14 Centnern zu beschaffen, Betrug die Entschädigung für die
abzuliefernde Glocke 2078 M, so kostet die jetzt bestellte Ersatzglocke 53 Centner Roggen.
Dieser Preis soll von sämtlichen Gemeindegledern nach Morgenzahl der Ländereien aufgebracht
werden, da die Kirchenkasse dazu nicht imstande ist. Dagegen soll die Kirchenkasse die
Reparaturarbeiten am Turm decken. Der Kirchenacker bringt zur Zeit zwo Morgen an Pacht den
Preis von 1/2 Zentner Roggen. Die Reparaturarbeiten führte der Dachdecker Karl Wöhler aus
Stappenbeck aus. Morgen soll der Turmknopf wieder heraufgebracht werden.
Kirchenälteste sind zur Zeit:
1) Ackerhofsaltsitzer Friedrich Schulz
2) Ackermann Friedrich Bubke.
3) Grundsitzer Gustav Schulz.
4) Grundsitzer Ernst Schulz.
5) Ackermann Otto Stappenbeck.
Letzterer ist auch Dorfschulze. Lehrer und Küster war bis zum 1. April über 30 Jahre lang
Hermann Banse, der nach seiner Konfirmierung am Orte wohnen geblieben ist. Sein Nachfolger
ist vom 1. August sein Schwiegersohn Richard Möhring. In der Zwischenzeit wurde die Stelle
von einem Schulamtskandidaten Bert aus Salzwedel verwaltet.
Aus dem von den Franzosen besetzten Gebieten sind seit einigen Wochen etwa 30 Kinder im
hiesigen Dorfe untergebracht; diese aber in Düsseldorf zu Hause. In allernächster Zeit sollen
in der Umgebung ganze Familien von aus dem Ruhrgebiet vertriebenen Eisenbahner Unterkunft
finden.
Die Ernte ist in diesem Jahr besonders spät, da die Monate Mai u. Juni außerordentlich kühl
waren u. überhaupt keinen Tag mit Sonnenschein brachten. Erst in den letzten Tagen des Juli
wurde der erste Roggen gemäht. Vorgestern u. heute kamen die ersten Roggenfuhren herein u.
gleich hörte man die Dreschmaschinen brummen u. die Dreschflegel klappern da die knappen
Vorräte des Vorjahres bei den meisten längst zu Ende waren. Der Ernteertrag ist aber sowohl
bei dem Winter- wie bei dem Sommergetreide durchweg gut, wie er in den Kriegs- und
Nachkriegsjahren nicht gewesen ist; vor allem schafft es an Stroh das Doppelte wie im
Vorjahre. Dageben verspricht die Kartoffelernte keinen guten Ertrag.
Im Vordergrund des alltäglichen Interesses steht die gerade in den letzten 14 Tagen von Tag
zu Tag rapied zunehmende Teuerung. Bei einem Dollarstand von 1 100 000 entsprechen heute
275 000 M unter dem Wert von einer Mark zu Friedenszeiten.
Folgende Preise sind vielleicht für die Nachwelt von Interesse:
Ein Maurer od. Zimmermann erhält einen Stundenlohn von 30 000 M. Ein centner
Braunkohlenbriketts = 173 000 M.
Ein Ferkel von 6 Wochen = 2 Millionen Mark.
Eine Kuh 80 000 000 M.
1000 Mauersteine = 2 1/2 Millionen.
1 Pfund Kaffeebohnen 480 000 M.
1 Ei = 10 000 M.
1 Pfund Butter 240 000 M.
1 Centner Roggen 1 400 000 M.
1 Centner Weizen 2 350 000 M.
Dieser Bogen Papier kostet 200 M.
Bei dieser traurigen Geldentwertung hat sich ein Schieber= u. Wuchertum breit gemacht, daß
die einen schlemmen u. schwelgen u. die anderen darben u. hungern. Überhaupt ist der aufs
Materielle gerichtete Zeitgeist tief zu beklagen, wenn auch wir auf dem Lande direkt noch
nichts von Hunger un. Entbehrung spüren, so kommen doch aus den größeren Städten
herzbewegliche Klagen. Wann werden wieder bessere Zeiten kommen ? Werdet Ihr sie erleben,
die Ihr nach vielen Jahrzehnten vielleicht diese Zeilen in die Hände bekommt ? Gott gebe es !
Er gab uns, daß unser Sinn u. denken nicht untergehe in den Sorgen der Nahrung u. Kleidung.
Er gebe, daß wir der Ehrlichkeit u. Wahrhaftigkeit die Oberhand gewinnen. Er verhelfe unserem
Volke......... zu einem Aufstieg in wirtschaftlicher, sittlicher und religiöser Hinsicht.
Wir die jetzt lebenden grüßen Euch, die Ihr nach uns leben werdet !
Ev. Pastor
Hesselbarth
4. (1923)
Namen der Schulkinder
Knaben
1.Albert Bode 23. Erika Bersiner
2.Martin Bubke 24. Wilma Schulz
3.Willi Sommerfeld 25. Elsa Lühmann
4.Albert Osenroth 26. Renate Bubke
5.Paul Thielecke 27. Charlotte Thielecke
6.Otto Vogler 28. Herta Müller
7.Martin Lüder 29. Frieda Kurzer
8.Bernhard Pieper 30. Lisa Hasse
9.Erich Stendel 31. Erika Wieland
10.Hermann Bubke 32. Lisa Thielecke
11.Arthur Schermer 33. Maria Lange
12.Otto Beckmann 34. Berta Thielecke
13.Werner Bubke 35. Gerda Wieland
14.Helmut Bode 36. Hilde Kurzer
15.Ernst Marx 37. Margareta Thielecke
16.Erwin Marx 38. Hilde Riebau
17.Rudolf Landau 39. Liesbett Bühmann
18.Rudolf Güssefeld
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Mädchen --------------------
19.Herta Schulz 40. Konrad Pieper
20.Maria Thielecke 41. Ernst Linke
21.Anneliese Tyrloch
22.Wilhelmine Lincke
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