Günter
Schröder: Apenburger Kirchengeschichte – Apenburger Pfarrer (4)
In der vierten Folge unserer Pfarrerserie möchten wir den
allen Apenburgern noch bestens bekannten Pfarrer Tiedemann vorstellen, der
von 1938 bis 1973 in Apenburg tätig war. Wir geben hier einen Brief wieder,
in dem Frank Tiedemann über seinen Vater schreibt. Er geht dabei vor allem
auf private, nicht so bekannte Details ein:
„Bei
allem müssen Sie natürlich berücksichtigen, dass es immer durch meine sehr subjektive
Brille gesehen ist.. Meine Eltern sind beide Jahrgang 1908. Vater ist als 12.
Kind eines Dorfschullehrers in Deinste, Kreis Stade (Altes Land) geboren. Die
Mutter ist gestorben als er drei Jahre alt war. Die größeren Geschwister haben
ihn praktisch groß gezogen, da der Vater ledig blieb. In seiner Jugendzeit war
Vater sehr sportlich (Gerätturner und Leichtathlet), Studium in Marburg, Göttingen,
Wien und Leipzig, finanziell hat ihn einer seiner Brüder unterstützt, der uns
dann auch zu DDR - Zeiten regelmäßig „Westpakete“ schickte und auch
Vaters erstes Genex-Auto bezahlte. Vaters Sehnsucht blieb immer seine Heimat
„Das Alte Land“. Bis 1961 ist er mit uns oder auch allein (um für
Mutter Kaffee zu holen) oft über die Grenze gegangen, hatte auch viele Kontakte
zu Pastoren im Westen. Die 1961 geschlossene Grenze war für ihn wie für viele
seiner Generation eine sehr bittere Erfahrung. Als Vater 1973 in den Ruhestand
ging, hatten wir als Kinder schon befürchtet, dass Vater und Mutter sich scheiden
lassen, weil Vater unbedingt in den Westen ziehen wollte (für Pfarrer im Ruhestand
blieb damals kaum etwas anderes übrig als in den Westen zu gehen oder in einem
leerstehenden alten Pfarrhaus Unterschlupf zu finden) und meine Mutter, die
auch aus Niedersachsen (Hameln und Hannover) stammte, wollte unbedingt in der
DDR bleiben, weil Kinder und Enkel dort wohnten. Zum Glück hatte ich im Pfarrhaus
in Ilsenburg genügend Platz für beide. Vater war ja dann in Ilsenburg und Umgebung
noch sehr aktiv als Pfarrer etwa bis zu seinem 88. Lebensjahr und hat alles
ehrenamtlich und sehr gerne gemacht. Außerdem hat er in den Ilsenburger Jahren
sehr viele Ölgemälde gemalt. In seiner direkten und offenen Art ist er dort
auch schnell heimisch geworden. Meine beiden Schwestern und ich sind während
des Krieges geboren und haben unseren Vater erst nach Kriegsende kennen gelernt.
Viele Erinnerungen bleiben für uns an die Apenburger Zeit, z.
B. an die Besuche von Pastor Otto Reichmann aus Winterfeld, der immer in der
Dämmerzeit spannende und oft auch sehr gruselige Geschichten
erzählte. Oft war Pastor Reichmann, der bei uns Kindern nur der „heilige
Otto“ hieß, nach seinen Erzählungen selbst so verängstigt, dass mein Vater
ihn dann nach Winterfeld (zu Fuß), wenigstens bis hinter den Recklinger Wald
bringen musste, während wir Kinder und auch meine Mutter zu Hause saßen und
nicht wagten, vor Angst uns zu bewegen, bis endlich mein Vater kam und
der Spuk vorbei war.
Tiere
spielten in der Familie eine große Rolle, neben den vielen Menschen, die im
Hause ein und aus gingen. Es kam schon mal vor, dass am Sonntagmorgen als letztes
Gemeindemitglied unsere Ziege in die offen Kirche einmarschierte oder dass unser
Hund (Neufundländer) einen Hochzeitszug durcheinander brachte, weil der Schleier
der Braut ihn ärgerte. Meine Eltern wurden manchmal zu großen Hochzeiten in
Recklingen oder Klein Apenburg mit der Kutsche abgeholt. Ein Schreck für uns
alle war eine Kutschfahrt meiner Eltern, bei der die Pferde in der Vorderstraße
plötzlich durchgingen und in einem Wahnsinnstempo durch die Vorder- und die
Bahnhofsstraße rasten. Mein Vater war bei diesem Tempo von der Kutsche abgesprungen,
hielt sich mit einer Hand an der Kutsche fest und lief neben der Kutsche durch
den ganzen Ort, um notfalls meine Mutter aufzufangen. Erst hinter dem Friedhof
kam die Kutsche zum Stehen.
Geldsorgen hatten meine Eltern immer. Vater war kein guter
Geschäftsmann. Dazu war er viel zu unordentlich und auch zu gutmütig. Sein
Schreibtisch sah immer wüst aus. Er versuchte sich dann z.B. mit Tabakanbau
oder Hundezucht etwas Geld hinzuzuverdienen, aber oft waren es Zusatzgeschäfte.
Unsere Hündin (Neufundländer) haben wir damals fast durch den ganzen Bezirk
Magdeburg gefahren, um sie decken zu lassen, aber es hat nie geklappt, weil
sich das keusche Tier immer sofort hinsetzte, wenn ein Rüde erschien. Oder
es kamen Antiquitätenhändler ins Haus. Jedes Mal fehlte dann irgendeine alte
Lampe, ein Stuhl, eine Kommode oder irgendetwas anderes.“
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